LTE und CarPlay: Mit der B-Klasse Electric Drive auf "großer" Fahrt
Meine B-Klasse Electric Drive ist perfekt für den Stadtverkehr, auch für kürzere Überlandstrecken gut zu gebrauchen. Aber eine Strecke von fast 600 km ist schon eine "große" Fahrt und ein kleines Abenteuer, wenn man eine realistische Reichweite von 130 km hat und den 28-kWh-Akku nur mit 11 kW über AC laden kann.
Wozu dieses kleine Abenteuer? Dafür ist doch der Electric Drive gar nicht gemacht.
Das stimmt. Aber ich wollte endlich wieder meine Standheizung per App aktivieren können, mein Auto per App ver- und entriegeln und zuverlässig Infos über den Zustand haben. Für die Kommunikation mit den Mercedes-Diensten und der Mercedes-App ist seit 2012 ein kleines Mobilfunk-Kommunikationsmodul in vielen Mercedes-Fahrzeugen verbaut. Von 2012 bis 2016 wurden Module von PEIKER verbaut (A2059000419, Code 350), so auch in meiner B-Klasse. Und dieses Modul unterstützt maximal den Mobilfunkstandard 3G (UMTS). Das UMTS-Netz ist aber in Deutschland längst Geschichte und wurde Ende 2021 abgeschaltet, also war die Kommunikation auf den noch älteren Mobilfunk-Standard 2G (EDGE) beschränkt. Das 2G-Netz ist zwar noch großflächig ausgebaut, aber man kann eigentlich kaum mehr echte Datenverbindungen aufbauen. Außerdem stellte Mercedes die Unterstützung für ältere Fahrzeuge mit UMTS-Modulen 2023 ein, so dass man die Remote Services gar nicht mehr buchen konnte. Seit Ende 2024 kann man die Remote Services zwar wieder buchen, aber die Nutzung ist nach wie vor nur sehr langsam oder teilweise gar nicht möglich. Zum Glück gibt es findige Mercedes-Fahrer, die sich damit nicht abfinden.
Ab 2016 wurden statt dem Modul von PEIKER nun HERMES-Kommunikationsmodule von Harman Becker verbaut, diese funken je nach Ausstattungsvariante entweder ebenfalls nur mit maximal 3G (Code 360) oder bieten eben auch 4G/LTE-Unterstützung (Code 362, bspw. A2229004519). Ich habe mich daher in die Thematik eingelesen und bin über einen Bericht von Martin gestolpert, der auch anbietet beim Einbau, Umkodieren und der Inbetriebnahme zu helfen. Aber Martin wohnt fast 600 km entfernt von mir.
Ich habe dann länger überlegt und irgendwann doch einen Termin abgestimmt, Reise und Ladestopps geplant und los ging es. Ausgestattet mit einer EnBW-Ladekarte war die Reise aber tatsächlich recht erträglich. Während der längeren Ladestopps konnten schöne Altstädte besucht oder gut gespeist werden. Aber ja, man steht länger an Ladesäulen als dass man selbst fährt. Wer weiß, vielleicht gibt es ja doch irgendwann zumindest den Tesla-Doppellader auch für die B-Klasse, damit wären dann immerhin 22 kW Ladeleistung möglich.
Endlich angekommen ging es auch schon ans Umrüsten. Handschuhfach inkl. Verkleidung raus, mit etwas Fingerspitzengefühl die zwei Schrauben vom PEIKER-Modul entfernt, Kabel abgesteckt und durch ein HERMES-LTE-Modul ersetzt. Der Stecker ist ein anderer, aber die Kabel sind grundsätzlich die Gleichen. Also musste alles vom alten Stecker auf den neuen umgepinnt werden. Danach wurde umcodiert. In der Mercedes-Diagnose-Software Xentry ist unter N112/2 das alte PEIKER-Kommunikationsmodul 'Telematikdienste' (KOMO) aufgeführt, das neue unter N112/9 Steuergerät für Telematikdienste (HERMES).
Dafür gibt es im Xentry eine eigene Inbetriebnahme-Routine. Während der Programmierung heißt es Warten und sich von Fehlermeldungen nicht aus der Ruhe bringen lassen. Leider brauchte es nochmal eine kleine Anpassung, das Kombiinstrument meldete mit dem neuen Modul plötzlich, dass SOS ohne Funktion sei - Martin kannte zum Glück den Grund und es musste noch vom Airbag-Modul ein neues Kabel zum HERMES-Modul gezogen werden. Außerdem musste auch die Art der im Fahrzeug verbauten Mobilfunkantenne (0db) dem HERMES-Modul noch einprogrammiert werden. Am Ende dauerte es nach erfolgreichem Codieren nochmals etwa 30 Minuten, bis das HERMES-Modul erfolgreich auf den Mercedes-Servern registriert wurde, Zertifikate ausgetausch wurden und die Mercedes-App meldete: "Digitale Extras wurden aktualisiert" - seit diesem Zeitpunkt kommen jetzt alle Infos live und in Echtzeit in der Mercedes-App an. Und auch die Standheizung reagiert wieder und lässt sich innerhalb von ca. 10 Sekunden per Knopfdruck in der App einschalten oder eine Abfahrtszeit konfigurieren. Das war vorher mit dem alten Kommunikationsmodul gar nicht mehr möglich.
Mein zweiter Wunsch war die Aktivierung von Apple CarPlay.
Verbaut ist ein Audio 20 NTG5*1/NTG5S1/NTG5Star1 mit kleinem 7-Zoll-Bildschirm (Auflösung 800x480 Pixel). Eigentlich können die NTG5-Geräte recht einfach für CarPlay aktiviert werden (egal ob Comand oder Audio 20). Dafür gibt es bspw. einfache blaue ODB-II-Dongles aus China, die diese Funktion aktivieren. Wenn denn die Headunit den richtigen Hardware-Stand hätte. Leider ist meine B-Klasse bereits im Frühjahr 2015 gebaut worden und die ersten NTG5*1-Modelle unterstützen Hardware-seitig keine Aktivierung von CarPlay. Mein NTG5*1 wurde von Panasonic im April 2015 hergestellt und hat die HW-Version 14/12 (HW-Partnumber A2469017303 oder andere mit Endnummer 03). Die Freischaltung klappt leider erst ab HW-Version 15/15 (oder HW-Partnumber mit Endnummer 05, 06 oder 07). Das heißt entweder eine Box von einem Dritthersteller kaufen, die dann zwischen Headunit und Bildschirm gesteckt werden muss und den Ton per AUX oder Bluetooth mehr schlecht als recht überträgt, oder eben ein neueres NTG5*1 suchen. Ich hab mich für die zweite Option entschieden, es soll ja alles Original bleiben.
Ich habe ein im Juni 2016 hergestelltes NTG5*1 (HW-Version 15/15 und HW-Teilenummer A2469011106) erstanden, Martin hat den Diebstahl-Code bei Mercedes angefordert, die neue Headunit eingebaut und für mein Fahrzeug codiert. Doch auch bei dem Gerät ließ sich CarPlay zuerst nicht aktivieren - die Software war zu alt. Also musste erst noch ein Software-Update auf die Headunit aufgespielt werden (Dauer ca. 2h für ein 500 MB Image). Hier muss unbedingt darauf geachtet werden, dass nicht die neuste Software aufgespielt wird, sondern maximal SW-Version 175040. Mercedes-Vertragspartner aktualisieren in der Regel einfach auf die neuste verfügbare SW-Version, das wäre zum aktuellen Zeitpunkt 183140. Bei den neusten Software-Versionen ist kein Freischalten per Dongle oder Kodierung mehr möglich.
Zuhause konnte ich dann CarPlay erfolgreich mit dem Dongle aktivieren. Es braucht übrigens auch kein neues USB-Interface, das bestehende Interface ohne Tablet-Symbol (A1728202826) in der Mittelarmlehne funktioniert einwandfrei mit Apple CarPlay (iPhone angeschlossen am USB-Anschluss 2).
In aller Regel ist hier Schluss, alles funktioniert einwandfrei und man freut sich über die moderne Technik. Bei meinem neuen gebrauchten Audio 20 gab es leider noch eine zusätzliche Herausforderung, denn die Freisprechfunktion (Handsfree) wollte mit dem neueren NTG5*1 mit HW-Version 15/15 nicht funktionieren. Man hörte weder einen Freizeichenton, noch den Gesprächsteilnehmer oder wurde von demjenigen gehört. Die Musikwiedergabe über Bluetooth und Apple Carplay funktionierte dagegen sofort einwandfrei.
Über den Engineering-Mode am NTG5*1 kann man die Einstellungen anschauen und vergleichen. Der Engineering-Mode ist erreichbar durch das gleichzeitige Drücken der Tasten "Auflegen" + 1 + # für 3 Sekunden, aber bitte vorsichtig damit umgehen - man kann auch einiges kaputt machen. Bei neueren Geräten muss der Engineering-Mode ggf. erst freigeschaltet bzw. kodiert werden: "DL_Switching_Engineering_Mode = On".
Im Engineering-Mode im Untermenü "Tel" > "Handsfree" wurde beim neueren Gerät und beim älteren NTG5*1 unter "HF Parameter Version" folgendes angezeigt - also beide identisch:
Vehicle Type: B class
Amp Type: int amp
Tuning Data: CW16 2014
Release Version: 1
Auch "Microphone Information" ist bei beiden identisch:
Microphone connect 1: OK
Microphone connect 2: Disconnected
Microphone level 1 (polling 1 sec): 00
Microphone level 2 (available during HF call): FF
HF Parameter File Status: Read status: Success
HF Parameter File Status: Released year: 14
HF Parameter File Status: Released cw: 16
HF Parameter File Status: Check sum: 203
Einziger Unterschied ist unter "HF Parameter Version for Internal" zu finden, daher musste hier irgendwo ein Problem vorliegen.
Beim alten:
PRAM Version = 201400 000500 100400
CRAM Version = 201400 160100 100400 000400 001100
Beim neueren:
PRAM Version = 201400 000500 100400
CRAM Version = 040000 040000 000000 000000 000800
Einige Versuche später haben wir die Lösung gefunden: Anscheinend ist das neuere NTG5*1 nicht mit den HF-Parametern der älteren NTG5*1-HW-Version 14/12 kompatibel. Wir mussten tatsächlich neuere Parameter von einem anderen B-Klasse-Modell setzen, damit die Freisprecheinrichtung wieder tadellos funktioniert.
Folgende Angaben sind jetzt hinterlegt:
Vehicle Type: B class
Amp Type: int amp
Tuning Data: CW8 2015
Release Version: 1
PRAM Version = 201400 000500 100400
CRAM Version = 201400 160100 10400 000400 000100
Microphone connect 1: OK
Microphone connect 2: Disconnected
Microphone level 1 (polling 1 sec): 00
Microphone level 2 (available during HF call): FF
HF Parameter File Status: Read status: Success
HF Parameter File Status: Released year: 15
HF Parameter File Status: Released cw: 8
HF Parameter File Status: Check sum: 48
Damit funktioniert die Freisprecheinrichung sowohl bei CarPlay als auch via Bluetooth endlich einwandfrei. Ich bin glücklich, alles funktioniert jetzt so wie ich mir das gewünscht habe. Ganz nebenbei habe ich viel Neues über Kodierungen und mein Auto gelernt. Ich hatte einen entspannten und schönen Roadtrip ins tiefste Bayern mit einigen längeren Pausen an sehr schönen Orten. Und auch der Durchschnittsverbrauch von 16,9 kWh/100 km laut Bordcomputer kann sich durchaus sehen lassen. Großes Dankeschön an der Stelle nochmals an Martin.